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Ankunft am Cerro Paranal

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Mittwoch, 21. November 2007, 5:00 Uhr (chilenische Zeit: MEZ – 4 Stunden) Der Wecker klingelt. Sicherheitshalber das Handy gleich darauf auch noch. Es ist noch dunkel im ESO-Gästehaus und ich mache mich auf den Weg in den Frühstücksraum. Doch davor gehe ich dann doch noch kurz hinaus (Richtung Loggia), um zu sehen, was der Sternenhimmel in Santiago zeigt. Leider nicht sehr viel, wie für eine 6-Millionen-Region auch nicht anders zu erwarten. Immerhin sieht man aber den umgekehrten Orion und Mars leuchtet hell vom Himmel. Im Frühstückszimmer wartet ein “continental breakfast” auf mich, das die Küchen-Leute gestern abend offensichtlich schon vorbereitet hatten, jedenfalls ist von keinem Menschen eine Spur zu sehen. Ich esse eine orangefarbene Paste, die in einer Butterdose verpackt ist, mit Butter aber wenig zu tun hat, es schmeckt angenehm fruchtig.

6:00 Uhr Das Taxi steht vor der Tür und bringt mich zum Flughafen. Die meisten Leute hier sprechen kein Englisch — ein ideales Land also, um Spanisch zu lernen: “Hablo un poquito español”, ich kann mittlerweile wenigstens die rudimentärsten Ausdrücke… Einiges versteht man aber (dank Latein!) ohnehin sofort. In der Morgendämmerung fahre ich am Cerro San Cristóbal vorbei; von oben soll man einen schönen Blick auf die Stadt haben, vielleicht kann ich ihn mir nächste Woche noch anschauen. Am Flughafen sehe ich die Sonne hinter den Bergen aufgehen (siehe Album)…

7:30 Uhr Mit einem Airbus A320 der chilenischen LAN, der größten Fluggesellschaft Südamerikas, geht es vom Flughafen Arturo Merino Benitez, Santiago, zum Aeropuerto Internacional Cerro Moreno, Antofagasta. Ich habe selten einen so ruhigen und angenehmen Flug erlebt, wie diesen: Keinerlei Turbulenzen und eine hervorragende Sicht auf die Andenausläufer und das Meer, denn der Flug führt genau an der Küste entlang. Während Santiago noch auf 522 m Meereshöhe liegt, ist man in der Wüsten- und Hafenstadt Antofagasta auf Meeresniveau, der Flughafen liegt allerdings etwas außerhalb der Stadt auf 140 m über NN.

9:30 Uhr Unter den wartenden Abholern entdecke ich gleich einen Herrn mit blauem ESO-Schild… “Leonard?” fragt er und zeigt mir einen Kleinbus am anderen Ende des Parkplatzes mit Zielangabe “PARANAL”. Ich gehe dort hin, spreche noch kurz mit einem weiteren Mitfahrer (der sich später als Schweizer ESO-Ingenieur entpuppte…) und mache es mir in der letzten Reihe auf den großen bequemen Sitzen gemütlich. Vorhänge auf, iPod an, Kamera raus… Ich bin bereit für die Fahrt!

10:00 Uhr Es geht los. Während man sich auf dem Flughafengelände nicht wie in der Wüste vorkommt, merkt man beim zurückblicken (siehe Album) schnell, dass es nur ein (vermutlich künstlicher) grüner Fleck in der weiten orange-grauen Landschaft ist. Die Farbe ist dem vielen Kupfer zu verdanken, das er hier in Mengen gibt. Chile ist mit weitem Abstand der größte Kupfer-Förderer der Welt.
Wir sind auf dem Weg nach Antofagasta, mit über 300 000 Einwohnern ist es die fünftgrößte Stadt Chiles und ein wichtiger Hafen für Nordchile und Bolivien, das hier nur etwa 100 km entfernt ist und seit dem Salpeter-Krieg (siehe unten) keinen Meerzugang mehr besitzt. Der Hafen wurde für die Salpeter-Wirtschaft gebaut: Bis zum Anfang des Ersten Weltkrieges hatte Chile nämlich quasi das Salpeter-Monopol auf der Welt. Und den Stoff brauchte man, um Düngemittel und vor allem Sprengstoff herzustellen. Er war damals so wichtig, dass Chile und Peru / Bolivien dafür sogar einen fünfjährigen Krieg (1879 bis 1884) anzettelten. Mit der Entwicklung der künstlichen Herstellung von Salpeter durch die Deutschen Fritz Haber und Carl Bosch (Patentanmeldung 1910) wurde es aber bald unbedeutend.

10:30 Uhr Zwischenstopp bei einem Parkplatz in Antofagasta. Es steigen nochmals einige Leute zu, allesamt Chilenen, vom ESO-Büro in Antofagasta. Später erfuhr ich, dass das “ESO staff”-Leute waren, die für Sicherheit, medizinische Versorgung und Mechanik zuständig sind. Um 10:35 Uhr fahren wir vom Parkplatz wieder los und auf eine Straße, auf der Santiago mit 1300 km Entfernung angeschrieben ist. Die Straße führt erst ins Landesinnere, bis wir in ein Tal einbiegen. Dort sind wir nun auf der berühmten Panamericana, der etwa 25 000 km langen Straße von Alaska nach Feuerland. Wir fahren aber nur etwa 30 km auf dieser Straße… Es geht vorbei an einem großen Zementwerk (das den Zement wohl aus dem Fluss Bío Bío gewinnt, siehe Album).

11:30 Uhr Kein Handy-Empfang mehr, ein Straßenschild kündigt an: “fin de pavimento”, Ende der Asphaltstraße. Der Busfahrer fährt deswegen aber nicht langsamer…

12:00 Uhr Ein schönes ESO-Schild “Paranal Observatory” zeigt, dass wir uns dem Observatorium nähern. Es folgen Hinweisschilder, dass man ab hier nur noch mit Standlicht fahren soll, die Straße ist wieder asphaltiert.

12:40 Uhr Ankunft am Paranal nach insgesamt etwa 42 Stunden Reisezeit (ab Frankfurt). Zunächst stoppen wir am Sicherheitsposten, wo alle Fahrgäste eine ESO-ID-Magnetkarte zum Umhängen erhalten. Die Karte wird zum öffnen von Türen und für Speisen gebraucht und weist einen aus. In meinem Fall “Astronomer, Visitor 216”. Kurz darauf fahren wir noch ein paar hundert Meter weiter zur Residencia, dem wohl bekanntesten “Hotel” für Astronomen. Mein Zimmer ist leider noch besetzt. Ich gehe daher erstmal in das “Casino” und nehme ein leichtes Mittagessen zu mir. Dabei unterhalte ich mich einem der Fahrgäste, der sich dabei als französischsprachiger schweizer ESO-Ingenieur herausstellt, der vor einigen Jahren ausgewandert ist. Er erzählt mir, dass die Ozonschicht hier besonders dünn ist. Das freut die Astronomen (weniger atmosphärische Absorption), bedeutet aber, dass man untertags besonders guten Sonnenschutz braucht. Schließlich liegt dieses “basecamp” des Cerro Paranal auf 2456m Seehöhe.

14:15 Uhr Elena, meine “daytime”-Astronomin stellt sich mir vor. Jedem besuchenden Astronomen hier werden ein daytime- und ein nighttime-Astronom zugewiesen, an die man sich bei den Vorbereitungen (daytime) bzw. während des Beobachtens selbst (nighttime) wenden kann. Die meisten Vorbereitungen für meine Beobachtung am Freitag sind schon erledigt (dazu später mehr), dennoch erhalte ich ein “Science Operations – Visiting Astronomers”-Büro zugewiesen (siehe Album). Auf den Computer dort muss vor der Beobachtung der OB (Observing Block) hochgeladen sein. In einem OB stehen die wesentlichen Parameter für die Beobachtung (Koordinaten, Belichtungszeit, Anzahl der Aufnahmen, Filter, evtl. genaue Zeit etc.).

15:00 Uhr Sicherheitsinstruktion bei Antonio. Er holt mich in der Residencia ab und wir gehen etwa 500 Meter in freier Luft zu einem anderen Gebäude. Schon nach wenigen Malen ein- und ausatmen merkt man, dass es hier extrem trocken ist. Jegliche Feuchtigkeit auf den Lippen verschwindet sofort, atmet man durch den Mund hat man sofort ein trockenes Gefühl im Mund. Man versteht dann, dass die Atacama-Wüste als trockenste Wüste der Welt gilt, im Jahresmittel fällt hier laut Wikipedia nur 1/50 der Regenmenge des Death Valley. Und das ist ja auch nicht gerade durch üppige Vegetation bekannt. Antonio erklärt mir, dass sie letzte Woche hier 2% Luftfeuchtigkeit gemessen haben, derzeit hat es etwa 5%, was dem Durchschnitt entspricht. Für die optische Astronomie ist das einer der Gründe, warum man das Teleskop hierhin gestellt hat: Wasserdampf absorbiert, speziell im Infrarotbereich, sehr stark und nur in trockenen und hohen Regionen kann man überhaupt Infrarot-Astronomie von der Erde aus betreiben. Für einen selber bedeutet das aber, dass man extrem viel trinken muss, um nicht zu dehydrieren. Die Sicherheitshinweise sind großteils selbsterklärend: Man soll nicht alleine durch die Wüste wandern, nicht unbedingt am ersten Tag hier oben gleich Squash spielen (ja, es gibt hier auch einen Squash-Court!) und generell immer langsam gehen. “Nicht mal 2500 Meter, was soll das denn!”, mag man sich dabei denken (dachte ich mir auch zuerst), aber es ist schon etwas anderes, wenn man mit einem Wanderrucksack schön langsam auf diese Höhe steigt oder wenn man im bequemen Bus hierher gebracht wird. Die Trockenheit und die Zeitumstellung sorgen für den Rest. Die meisten Übergänge zwischen den Etagen sind hier jedenfalls als ziemlich flache Rampen gebaut, so dass man sich nicht zu sehr anstrengen muss…

16:00 Uhr Mein Zimmer ist leider immer noch nicht bezugsbereit. Ich kehre zurück in mein Büro und sammele meine Beobachtungsvorbereitungen zusammen, rekapituliere die wichtigsten Dinge. Die Beobachtung ist allerdings erst am Freitag, so dass noch zwei ganze Tage für Feinabstimmungen vorhanden sind.

18:00 Uhr Mein Zimmer ist nun bezugsbereit. Ich sammele meine Sachen zusammen und beziehe das Zimmer. Es gibt einen kleinen Schreibtisch mit Telefon- und Internet-Anbindung, ein Bett und ein kleines Bad mit fließend Wasser, in der Wüste durchaus ein Luxus! Die Tür öffnet ebenerdig, ich gehe aus dem Zimmer und auf den kleinen Hügel oberhalb der Residencia. Die Sonne steht schon recht tief und beleuchtet schön die Wolkendecke über dem Pazifik, die hier in gutem Abstand unter einem liegt. Beim Anstieg merke ich die Höhe sehr deutlich. Nach nur wenigen Schritten muss ich deutlich langsamer gehen. Von oben bietet sich ein schöner Blick über den gesamten Bereich und die große Weite der Atacama-Wüste. Durch die viele Bewegung fühle ich mich etwas niedergeschlagen und verspüre ein leichtes Kopfweh. Ich ruhe mich ein bißchen auf dem Bett aus.

19 Uhr Elena, meine daytime-Astronomin, ruft von der UT1-Kontrollstation aus an, wo sie den Tag über Justage-Arbeiten durchführt. Sie wollte mir eine Führung über die Teleskop-Plattform geben, insbesondere das “dome opening”, kurz nach Sonnenuntergang, wollte sie mir zeigen. Das geht heute aber leider nicht: Da der Wind zu stark ist, bleiben die Teleskope heute zu. Auch die letzten Tage war das Wetter wohl nicht gut zum Beobachten geeignet, desöfteren konnten nur wenige Nachtstunden genutzt werden. Wir verschieben die Teleskop-Führung auf morgen. Bei Sonnenuntergang hat sie “handover” zum entsprechenden nighttime-Astronomen. Danach treffe ich mich mit ihr und einigen anderen Astronomen, Ingenieuren und Computer-Leuten zum Abendessen im Casino. Zuvor kann ich aber noch von meinem Zimmer aus den Sonnenuntergang über der pazifischen Wolkendecke beobachten (siehe Album). Bereits kurz nach Sonnenuntergang sind die ersten Sterne zu sehen.

22 Uhr Ich gehe noch kurz aus der Residencia, um ein paar Fotos vom Nachthimmel zu machen und mir am Südsternhimmel eine erste Orientierung zu verschaffen… (mehr oder weniger ergebnislos). Ich werde es morgen mit Sternkarte nochmals probieren. Für die wissenschaftlichen Beobachtungen freilich ist es (fast) egal, sich am Nachthimmel auszukennen, alle wesentlichen Informationen werden aus den Koordinaten berechnet und die Teleskope fahren ohnehin automatisch an die gewünschte Stelle. Gewisse Basis-Kentnisse am Sternenhimmel sind dann allerdings doch notwendig, aber leider nicht bei allen Berufsastronomen vorhanden: Von den abgelehnten VLT-Anträgen werden laut ESO-Statistik immerhin ein paar mit der Begründung “wrong hemisphere” abgelehnt!

Der fast-Vollmond mindert leider den Nachthimmeleindruck deutlich. Für meine Beobachtungen ist das allerdings ziemlich egal, da sie im Infraroten stattfinden. Denn derselbe Effekt, der den Himmel blau erscheinen lässt (Rayleigh-Streuung: kürzerwelliges, “blaueres” Licht wird viel stärker gestreut als längerwelliges, “röteres”), führt natürlich dann auch dazu, dass das Streulicht des Mondes im Infraroten keine große Rolle spielt. Daher erhält man für Infrarot-Beobachtungen eben Nächte um Vollmond…

Damit verabschiede ich mich für heute… Wer den Blog liest, darf gerne auch einen Kommentar hinterlassen! 🙂

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